Literatur live in der Bibliothek

von Homepage BG/BRG Kufstein
09. November 2022

Am 3. November vertauschten die Klassen 7C und 8B ihre Klassenzimmersessel mit Stufen-Plätzen und Sitzsack-Mulden in der Bibliothek und kamen in den Genuss einer Lesung aus SURAZO – Monika und Hans Ertl: Eine deutsche Geschichte in Bolivien von Karin Harrasser. Der Titel des Buches bezieht sich zum einen auf einen in Südamerika gefürchteten eiskalten Polarwind und zum anderen auf den Titel eines unvollendeten Films.

Die gebürtige Kufsteinerin studierte Geschichte und Germanistik in Wien und ist Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz in der Funktion einer Vizerektorin. Mit SURAZO legte sie ein „Corona-Werk“ vor, das sozusagen als Nebenprodukt zu Studien im Bereich barocker Musik in Bolivien am Stimmersee seinen Ursprung fand.

Harrasser zeichnet zwei Vater-Tochter-Beziehungen auf, die beide ihren Ursprung in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus haben. Hans Ertl, Film-Produzent, Kameramann, aber auch erstklassiger Bergsteiger, war das cineastische Liebkind der Nazis und setzte sich nach dem Krieg über die sogenannte Rattenlinie nach Bolivien ab. Dort trifft er auf Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“, mit dem er engen Umgang pflegt. Beider Töchter besuchen sogar dieselbe Schule.
Harrasser entführt ihre Leser*innenschaft auf eine faszinierend verstörende, unglaubliche Zeitreise durch die Verstrickungen transatlantischer Beziehungen von Altnazis und Regierungen, die sich ihrer Fertigkeiten bedienten. Dazu treten zwei Familien-Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und letztlich die Autorin auch heim nach Kufstein führen, wo sich ein höchstdekorierter SS-Oberst als Waffenschieber und Geldgeber von Kriegsverbrechern wie Josef Mengele oder Adolf Eichmann beschaulich am Stimmersee eingerichtet hat und Barbies/Altmanns Tochter Ute als seine Sekretärin, Bibliothekarin und Englischlehrerin an unserem Gymnasium aus Bolivien nachkommen ließ.
Harrasser liefert penibel recherchierte Fakten, lässt sich aber auch emotional mit dem gesichteten Material ein und lässt in Form von fiktiven Dialog-Einschüben an ihren Reflexionen teilhaben.
Das Buch ist eigentlich noch nicht festgeschrieben, lässt Harrasser wissen, eine filmische Umsetzung des Buches im Gespräch.
Auf Nachfrage eines Schülers nennt die Autorin als wichtigstes Ziel des Schreibens das Verfolgen einer Idee zumindest „bis zur Gartentür“. Das „Klingeln an der Haustür“ muss nicht erfolgen, wenn der Besuch Erwartbares liefern würde, das sich im Zuge der Recherche klar abgezeichnet hat und nur emotional Gesteigertes zur Folge hätte. So hat sie etwa Ute Altmann nicht persönlich aufgesucht. Es ist bei der Gartentür geblieben.

Vor allem gab Karin Harrasser den jugendlichen Zuhörerinnen und Zuhörern mit auf den Weg, nicht mit dem Finger auf die Geschichte zu zeigen, sondern zu begreifen, dass sie selber es sind, die Geschichte schreiben.
SURAZO ist im Verlag Matthes und Seitz erschienen und bald auch in der Bibliothek verfügbar.

Mag. Priska Szczutkowski